Neue Power-to-X-Konzepte für die Energiewende

Klimafreundliche Kraftstoffe sind ein entscheidender Hebel zur CO2-Reduktion. Doch wie können Lösungen für den Schwerlast-, Flug- oder Schiffsverkehr aussehen? Die beiden Unternehmen Ineratec und Caphenia machen es vor – sie arbeiten derzeit an der Produktion alternativer Kraftstoffe als Ersatz für fossiles Kerosin und errichten die dafür notwendige Anlageninfrastruktur im Industriepark Höchst.

Von Thomas Kölsch

Der Autoverkehr soll bis 2035 vollständig elektrifiziert werden, so fordert es die Europäische Kommission. Doch für Lkw und andere Schwertransporte wird das kaum möglich sein, vom Flug- und Schiffsverkehr ganz zu schweigen. Hier kommen E-Fuels ins Spiel, bei deren Herstellung Strom aus regenerativen Quellen eingesetzt und das Treibhausgas CO2 umgewandelt wird. Da dabei Solar- und Windkraftenergie in eine Art Speichermedium übertragen wird, spricht man auch vom Power-to-Liquid-Verfahren. Zahlreiche Start-ups bereiten sich derzeit darauf vor, in den Wettbewerb mit etablierten Unternehmen zu treten. Zwei davon sind im Industriepark Höchst angesiedelt und versprechen nicht weniger als eine Revolution. Sowohl Caphenia als auch INERATEC wollen noch in diesem Jahr ihre ersten Anlagen in industriellem Maßstab in Betrieb nehmen.

Kohlendioxid als Rohstoff

Die Zukunft des Lasttransports beginnt hier in Höchst, in unmittelbarer Nähe zum Frankfurter Flughafen, einem der weltweit größten Drehkreuze des internationalen Warenverkehrs und damit einem Knotenpunkt für unzählige Unternehmen, die demnächst einen großen Bedarf an klimaneutralen E-Fuels haben dürften. Schließlich ist die CO2-Reduktion heute und in Zukunft eine der drängendsten Aufgaben – und zwar sowohl bei industriellen Anlagen als auch bei Treibstoffen.

Die Technologien von Ineratec und Caphenia bringen beides zusammen: Sie betrachten Kohlendioxid nicht als Gefahr, sondern vielmehr als Rohstoff, der sowohl in E-Fuels transformiert als auch in chemischen Prozessen weiterverarbeitet werden kann.

Wir müssen einfach wegkommen von den fossilen Brennstoffen, wenn wir den Klimawandel in Schach halten wollen.

Tim Böltken, Geschäftsführer von INERATEC

Beim regulären Straßenverkehr habe man in den vergangenen Jahren daher auf Elektromobilität gesetzt, die vom Wirkungsgrad her ohne Frage weitaus effizienter sei als andere moderne Antriebsmethoden. Sie sei aber weder für die Luft- noch für die Containerschifffahrt eine Alternative, vor allem weil Batterien eine viel geringere Energiedichte als Brennstoffe hätten und deshalb zu viel Platz beziehungsweise Gewicht benötigen würden.

An dieser Stelle setzen E-Fuels an, die mit Ökostrom hergestellt werden und letztlich genauso viel CO2 verursachen, wie man bei der Produktion hineingesteckt hat.

Gleichzeitig dienen diese Treibstoffe als Energiespeicher für die schwankende Ausbeute aus Solar- und Windkraftanlagen. Eine Win-win-Situation – zumindest theoretisch. Denn vor allem in Deutschland sind die Energiekosten derart hoch, dass sich eine E-Fuel-Anlage nicht lohnt. Oder doch? „Es stimmt schon, dass man etwa in der Atacama-Wüste in Chile, in Patagonien oder in Australien sehr viel günstiger an Ökostrom kommen würde“, bestätigt Böltken. „Aber zum einen wollen wir uns ja nach den Erfahrungen der Corona-Jahre und des Krieges in der Ukraine nicht erneut von anderen Staaten abhängig machen, und zum anderen haben wir die Technologie so verbessert, dass wir auch in Deutschland wirtschaftlich sein können. Wenn wir es hier schaffen, dann schaffen wir es überall. Das wollen wir auch mit der Pilotanlage im Industriepark Höchst beweisen, die nach der Fertigstellung 3,5 Millionen Liter E-Fuels pro Jahr herstellen kann.“ Die Anlage soll zudem modular und beliebig skalierbar sein, sodass sie direkt an die Fabriken der Kunden angepasst und angebunden werden kann.

„Schon jetzt ist das Interesse an unserer Technologie immens, und je näher wir dem Fertigstellungstermin unserer Pilotanlage kommen, desto mehr Nachfragen kommen“, freut sich Böltken.

„Im Moment stehen wir in etwa an dem Punkt, an dem die Elektromobilität vor rund zehn Jahren stand, als viele einfach nicht glaubten, dass sich E-Autos durchsetzen würden. Wir sind daher zuversichtlich, dass 2034 auch E-Fuels zunehmend selbstverständlich werden. Das sehen unsere potenziellen Kunden offenbar ebenso."

Weltweit erste Power-and-Biogas-to-Liquid-Anlage

Auch das Unternehmen Caphenia will hoch hinaus.

Unser Ziel ist es, eine führende Position im Bereich Sustainable Aviation Fuel (SAF) zu erreichen. Wir wollen dazu beitragen, dass nachhaltige Kraftstoffe für viele Anwender erschwinglich werden, und dadurch einen entscheidenden Beitrag für eine zukunftsfähige Mobilität leisten.

Dr. Mark Misselhorn, Geschäftsführer von Caphenia

„Unser Ansatz zeichnet sich durch einen besonders hohen Wirkungsgrad aus: Wir benötigen nur ein Sechstel des Stroms vergleichbarer Verfahren. Die Inbetriebnahme unserer ersten Anlage ‚Germany I‘ im Industriepark Höchst, in der wir ein vielseitig einsetzbares Synthesegas in industriellem Maßstab produzieren, ist für das vierte Quartal 2024 geplant.“

Dieses Gas sei der Ausgangsstoff für die weitere Umwandlung zu flüssigen Kohlenwasserstoffen – im Falle von Caphenia zu Syncrude, das chemisch vergleichbar mit fossilem Rohöl sei. Für den deutschen Markt sieht Misselhorn sein Unternehmen hervorragend aufgestellt, und das nicht nur wegen des geringen Energiebedarfs: „Wir nutzen Biomethan als weiteren Energieträger und Kohlenstoffquelle. Es wird in Biogasanlagen erzeugt, zusammen mit CO2, das als Nebenprodukt anfällt, und ist damit kostengünstig verfügbar. Der Vorteil ist, dass Deutschland über eine sehr hohe Anzahl von Biogasanlagen verfügt. Dadurch gibt es erhebliche Produktionskapazitäten dieses Energieträgers, die zur Produktion von flüssigen Kraftstoffen beitragen können. Da das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für den Großteil der Anlagen in den kommenden Jahren ausläuft, macht es auch wirtschaftlich für die Betreiber Sinn, eine höhere Wertschöpfungsstufe zu erschließen.“ Die Anlage im Industriepark Höchst sei dabei die weltweit erste Power-and-Biogas-to-Liquid-Anlage; sie soll etwa 625.000 Liter Treibstoff pro Jahr produzieren. „Erfreulicherweise hat allein unser Gesellschafterkreis einen Kraftstoffbedarf von rund einer Milliarde Litern im Jahr. Insofern ist die Abnahme der Kraftstoffe gesichert“, freut sich Misselhorn. Bis 2035 will Caphenia die Produktion bis auf eine Milliarde Liter SAF pro Jahr steigern.

Investitionen in die Zukunft

Dass sich das Power-to-Liquid- oder Power-to-Gas-Verfahren mittelfristig durchsetzen wird, davon sind nicht nur Böltken und Misselhorn überzeugt, sondern auch Prof. Roland Dittmeyer, Direktor des Instituts für Mikroverfahrenstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Dabei geht er über die Anwendbarkeit der E-Fuels als Treibstoff hinaus: „Wir wollen ja alle auf erneuerbare Energien umsteigen, was zum Schutz des Klimas unabdingbar ist“, sagt er. „Das Problem ist aber einerseits, dass Wind- und Solarkraft unbeständig sind, wir also teilweise mehr Energie benötigen, als wir gerade erzeugen, und dann wieder Überschüsse haben, die wir zur Speicherung in chemische Energieträger umwandeln müssen. Andererseits müssen wir ganz klar sagen, dass wir in Deutschland einfach nicht genug Strom aus erneuerbaren Quellen generieren können."

Wir müssen also Strom oder damit erzeugte Energieträger importieren – und das geht am besten mit einem Power-to-X-Ansatz.

Prof. Roland Dittmeyer, Direktor des Instituts für Mikroverfahrenstechnik am Karlsruher Institut für Technologie

Dittmeyer empfiehlt, sowohl die Überschuss-Speicherung vor Ort als auch den Import von E-Fuels parallel laufen zu lassen. „Wirtschaftlich gesehen, ist es tatsächlich gar nicht so interessant, Power-to-X-Anlagen in Deutschland zu betreiben. Aus Systemsicht sieht das aber anders aus, sowohl um Spannungsschwankungen zu vermeiden als auch um eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren. Wir brauchen Anlagen, die schnell hochgefahren werden können, am besten mitten in einem Stadtviertel, auf dessen Dächern überall Solarpaneele verbaut sind. Außerdem denke ich an die Elektrifizierung der Industrie und der Chemie, da ist noch sehr viel Potenzial.“ Und zumindest an Kohlendioxid als Ausgangsstoff werde es so schnell keinen Mangel geben.

„Selbst wenn wir alles vermeiden, was wir vermeiden können, wird Deutschland noch immer rund 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen. Diese Menge muss der Atmosphäre entzogen und dauerhaft gelagert werden, auf natürlichem Weg durch Aufforstung der Wälder und Wiederverwässerung der Moore, aber eben auch durch den Bau entsprechender Anlagen. Letztere könnten dann auch Kohlendioxid für eine nachhaltige stoffliche Nutzung liefern. All das sind Investitionen in unsere Zukunft“, resümiert Dittmeyer.
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